In meinem letzten Beitrag habe ich über die Problematik des Aufschiebens der Verfassung des Vermächtnisses geschrieben. Wenn man wohlhabend ist, sollte man sich nicht nur von der Illusion befreien, das Vermögen in das Leben nach dem Tod mitzunehmen, sondern auch davon, dass man es vor dem Tod noch ausgeben könnte. Und zwar nicht nur aufgrund der quasi unmöglichen Vorherseh- oder Planbarkeit des Todes. Die Vernunft selbst wird einen daran hindern und noch viel Kopfzerbrechen bereiten, was nun der weisere Weg wäre, mit dem Vermögen umzugehen. Ist man in der Situation, großzügig sein zu können, und ist Großzügigkeit ein Wert im persönlicher Wert, so ist man mit den „Paradoxien der Großzügigkeit“ – wie Saul Levmore sie nennt – konfrontiert. In Bezug auf ihn möchte ich die erste Paradoxie hypothetisch an einem Beispiel verdeutlichen. Hier könnte es etwas theoretisch werden.

Nehmen wir an, Sie sind eine Person, die eine gewissen Summe für eine gute Sache zu spenden beabsichtigt. Sie stehen unmittelbar vor mindestens zwei Optionen: das Geld jetzt zu spenden oder es anzulegen, zu verzinsen und später eine noch höhere Summe zu spenden. Die erste Option liefert sofort eine augenblickliche Befriedigung des Bedürfnisses, der Sie zum Spenden motivierte. Eine direkte Spende erfüllt Sie mit der Freude der Tat und der damit verbundenen Dankbarkeit – eine Win-Win-Situation der hedonischen Wohltätigkeit, für die es an dieser Stelle keinen Grund und keine Rechtfertigung gibt, sie aufzuschieben. Auch die Berücksichtigung der Spende bei der nächsten Steuererklärung spricht dafür, bei der nächstmöglichen Gelegenheit davon zu profitieren. Sie können auch langfristig die Erbschaftsteuer dadurch verringern, wenn Sie die Geschenke vor Ihrem Tod machen. Auch die eventuellen Empfänger profitieren von der Wohltätigkeit sofort und können selbstbestimmt darüber verfügen, sie materiell oder finanziell zu investieren – eher jetzt als später.

Trotz der Plausibilität der Argumente ist das Paradoxe, dass sie auch für die andere Option der Verzögerung und Verzinsung angeführt werden können. Denn ein höherer Betrag kann sowohl die Freude der Wohltäter als auch jene der Empfänger steigern, samt ihrer Investitionsverfügung und dem daraus folgenden Profit. Levmore dazu:

„Dieser Grund für die Verzögerung wird am besten als Optionswert bezeichnet. Der Spender gleicht dem Besitzer des Optionsscheins, der durch Warten gewinnt, da er im Laufe der Zeit zusätzliche Informationen über alternative Investitionen bekommt. In diesem Fall übertrumpft der Optionswert wahrscheinlich jedes Argument für eine sofortige Spende; das Warten hat den Nutzen, dass man mehr Informationen gewinnt, und außerdem, dass er eine höhere Rendite als die Universität erzielen kann. Die einzigen Kosten bestehen darin, dass er die Freude daran, etwas Gutes zu tun, aufschiebt.“

Eben in dieser Plausibilität entfaltet sich die Paradoxie: Sollte es sinnvoll sein, die Spende über einen bestimmten Zeitraum aufzuschieben, um die daraus resultierenden Vorteile zu ziehen, ist es genauso sinnvoll diese in jedem Zeitraum aufzuschieben. Sie begeben sich in einen infiniten Progress, der zwar positiv klingt, demzufolge Sie aber sich nie von Ihrem Vermögen trennen und nie der Wohltätigkeit nachgehen. Dieselbe zweckrationale Vernunft wird Sie daran hindern permanent die teure Änderung des Testaments und damit einhergehende Formalitäten vorzunehmen. Die Unwahrscheinlichkeit der Planbarkeit des Todes und die zweckrationale Vernunft werden es Ihnen unmöglich machen, die Schenkung auf den unmittelbaren Zeitraum vor ihrem Tod aufzuschieben, um die Information und den Betrag maximal zu nutzen. „Sobald man eine Spende hinauszögert, kann es schwer werden, sie jemals zu tätigen. Eine wirklich wohltätige und großzügige Person sollte sich über das Problem besser nicht zu viel Gedanken machen“, so Levmore.

Wenn Sie der Welt Gutes tun möchten, verzetteln Sie sich nicht in Optionen. Der Wunsch, in der Welt Spuren zu hinterlassen ist so alt wie die Menschheit. Während die jungen Generationen um die Zukunft bangen, sich politisch organisieren und auf die Straße gehen, um die verschleppten Entscheidungen ihrer Eltern und Ahnen wiedergutzumachen, können Sie sofort und konkret handeln, um die Welt nachhaltig zu verbessern. Dieses Thema werde ich in meinen nächsten Beiträgen genauer unter die Lupe nehmen.