In meinem vorherigen Blogbeitrag habe ich mich in aller Kürze und im imaginären Dialog mit Martha Nussbaum mit der Existenzweise des Seins im Prozess des Alterns auseinandergesetzt. Nun möchte ich mich in Anlehnung an Erich Fromm auch mit dem Aspekt des Habens im Prozess des Alterns beschäftigen. Dabei werde ich mich auf meine eigene Erfahrung als Steuerberater und Stiftungsexperte berufen. Aber auch meinen nächsten imaginären Dialogpartner zu Rat ziehen: Saul Levmore, der sich mit Martha gemeinsam auch auf die Geschichte von „König Lear“ als Referenzpunkt bezieht und sich die Frage des Vermögens und des Nachlasses stellt. Welche Gefühle und Bedenken tauchen dabei auf? Welche Konsequenzen der eigenen Entscheidung erweisen sich als weise und welche enden in der Tragödie?

Zuerst ist zu erwähnen, dass das Haben als Paradigma der Existenzweise an sich eine ist, die sehr belastend sein kann. Ist man mit ihr sozialisiert und lebt in einer Gesellschaft, die die Anhäufung des sozialen und materiellen Kapitals als Erfolgsfaktor betrachtet, so wählt man den Weg des geringsten Widerstandes und nimmt ein Wertesystem an, in dem kognitive Dissonanzen vermieden werden können. Dieses Wertesystem existiert zwar neben anderen, erlaubt aber eine identitätsstiftende Internalisierung von Werten und Normen, sodass danach ausgerichtete Handlungskonsequenzen einem selbst gerechtfertigt und legitim erscheinen. Sie sind konsensfähig kritisierbar, werden aber zur Illustration der Problematik als gegebene Tatsache angenommen. Hat man in einer solchen Situation das Glück, Vermögenswerte zu verteilen oder zu empfangen, stehen alle Betroffenen vor einer schwierigen und zum Teil paradoxen Situation.

So nehmen wir König Lear als Beispiel, der in einem fortgeschrittenen Alter über sein Vermächtnis, seine Beziehung zu den Töchtern und seinen Geisteszustand nachdenkt. Das Vermächtnis eines Monarchen ist ziemlich klar, die Beziehung der Töchter zu Lear eher nicht, und sein Geist bereits durch das Alter oder eine möglicherweise voranschreitende Demenz getrübt. König Lear entscheide sich aus Eitelkeit und Dummheit – so Levmore – sein Vermögen und die Macht nach dem Wert der Liebe auszurichten, jedoch nicht seiner Liebe, sondern der Liebe zu ihm, für die erst ein Beweis erbracht werden müsste. Er verlangt von seinen drei Töchtern einen „Liebesbeweis“. Aber kann so ein Beweis nun aufrichtig sein? Die Ehrlichkeit könnte hier zum Enterben führen, sowohl bei mangelnder Liebe als auch bei unwürdigen Absichten der Angehörigen und Familienmitglieder. Was bei Lear der Tragödie geschuldet eben der Fall ist, denn er wird in übelster Weise hintergangen. Jenseits der Bühne kann uns eine solche Farce erspart bleiben, bar unserer Institutionen und Berater. Levmore dazu:

„Wir können einen Vertrag über einen Platz in einer Seniorengemeinschaft abschließen oder unser Vermögen verwalten, ohne dass Menschen eingreifen, denen wir nicht voll vertrauen. Aber es gibt eine Grenze für diese Eigenständigkeit, ob es uns gefällt oder nicht: Sofern wir nach Anzeichen dafür suchen, wie man uns, wenn wir wahrscheinlich pflegebedürftig sein werden, behandeln wird, ähneln wir alle Lear.“

Lears Tragödie warnt uns vor einer verschleppten Altersvorsorge und Nachlassverwaltung, die nicht nur die Familie, sondern ein ganzes Königreich in einen Krieg stürzen können. Die Erbschaft ist immer ein Drama, aber ohne die Hilfe eines Unparteiischen ist es zumeist eine Tragödie. Auch wenn es der seltenste Fall sein mag, dass wir ganze Königreiche zu übertragen haben, sehen viele in der Regelung ihrer Vermögenswerte die Möglichkeit, die potenzielle Begünstigten zu kontrollieren. Besonders wenn man vom irrationalen Egoismus getrieben wird oder zweckrational das Vermögen ungeteilt vererben möchte und seine Geliebten auf die Probe stellt. So sprechen natürlich viele Argumente dafür, die Königreiche – oder sagen wir mal ein Familienunternehmen – zu erhalten oder auszuweiten. Aber es kommen in der Geschichtsschreibung diverse Episoden des verwerflichen oder mörderischen Verhaltens vor, ganz unabhängig davon, wer der geplante Erbe sei. Im Zentrum der Geschichte steht immer die Moral.

Das Erben erscheint uns nicht als ein bloßes Verhalten, sondern als eine reflektierte Tathandlung, die sich bewusst oder intuitiv nach einem Ethos richtet.  Sei es eine Norm, eine Konvention oder ein Wertesystem – etwas muss der Tatsache und Tathandlung zwischengeschaltet sein, das diese rechtfertigt. Zumindest im Idealfall, denn Lear scheint einen weder gerechtfertigten noch pragmatisch funktionierenden Verteilungsschlüssel gewählt zu haben. In einer im weitesten Sinne liberalen Gesellschaft gilt die Norm der Gleichverteilung sowohl der Liebe als auch der materiellen Güter unter den Kindern, denn eine Bevorzugung kann nur schwer gerechtfertigt werden. Führt der eigene Ethos einen nicht zu der konventionellen Entscheidung durch die Befürchtung einer Spannung oder gar der Konflikte in der Familie, neigen sich wohlhabende Personen zu eher philanthropischen Tätigkeiten. Verbleiben wir aber vorerst bei der Entscheidung, das Erbe solle doch bitte in der Familie bleiben, und vertagen die Entscheidung für die Philanthropie auf den nächsten Beitrag.

In der modernen Gesellschaft ist man nun von der Erbkonvention der Machtfolge entkoppelt und ist – wie bereits erwähnt – daran interessiert, das Eigentum gleich unter den Kindern aufzuteilen, sodass auch diese die Norm verfolgen und eine stabile Prozedur bildet, die von Generation zu Generation praktiziert wird. Und sollte sich aus der Notsituation einer der Begünstigten oder aus dem Wunsch des Wohltäters nach einer pflegerischen Zuwendung die Abweichung von der Gleichverteilung ergeben, so kann diese durch einen Treuhandvertrag oder ein ähnliches Dokument als formulierte Bedingung festgehalten werden.

„Zumindest“ – so Levmore – „sollte es einfach sein, ein zuverlässiges Familienmitglied, einen Freund oder einen amtlichen Treuhänder damit zu beauftragen, ein bestimmtes Vermögen zu verwalten, um Familienmitglieder die Ausgaben zu erstatten, die sie im Interesse der alternden Person tätigen. Zur sicheren Version dieses Plans gehört die Verwendung einer Versorgungsrente, das heißt eines Finanzinstruments, das dem Rentenempfänger zu seinen Lebzeiten ein Einkommen zahlt.“

Es wäre durchaus wünschenswert, dass wir die Qualität unserer Pflege absichern, und nicht nur ihre Kosten. Über die Illusion der Kontrolle darüber sowie die Paradoxien der Großzügigkeit, werde ich in meinem nächsten Beitrag schreiben.